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Interview mit Baudouin Griton, Technischer Berater im IPSAS-Board

Warum sollte die Europäische Union die Public Sector Accounting Standards (EPSAS) einführen?

Ein gemeinsamer Markt, eine gemeinsame Währung, gemeinsame Rechnungslegungsstandards für die Privatwirtschaft, harmonisierte Regulierungen in so verschiedenen Sektoren wie der Automobil- und Pharmaindustrie, die EU-Direktive 2011/85 zum Haushaltsrahmen der Mitgliedsstaaten - Harmonisierung ist eine der grundlegendsten rechtlich verankerten Kompetenzen der Europäischen Union. Der Artikel 115 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union bestimmt, "dass der Europäische Rat Richtlinien für die Angleichung von Gesetzen und Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten" erlässt. Vor diesem Hintergrund sollte die Frage wohl eher lauten, warum sollten die Mitgliedsstaaten keine gemeinsamen Rechnungslegungsstandards haben?

Darüber hinaus scheint mir der offensichtlichste Grund darin zu liegen, dass die Staaten mit gemeinsamen Rechnungslegungsstandards die Möglichkeit erhalten, ihre Finanzdaten auf eine verlässliche, transparente und vergleichbare Art und Weise zu präsentieren. Es ist eine oder die Kombination aus diesen drei Eigenschaften, die während der Finanzkrise 2008 am stärksten gefehlt hat.

Inwiefern könnte der Public Sector Accounting Standard Board (IPSASB)  bei der Entwicklung und Einführung der EPSAS behilflich sein?

Am Vorgehen der Kommission zur Entwicklung der EPSAS wird deutlich, dass die IPSAS die bislang einzigen existierenden und eingeführten Rechnungslegungsstandards für den öffentlichen Sektor sind. Sie bilden die eindeutige Grundlage und entscheidende Referenz - die Europäischen Kommission hat sie ja auch selbst bereits übernommen.

Außerdem beinhalten die 1630 Seiten umfassenden IPSAS nicht nur eine Lösung zur Aufstellung eines Jahresabschlusses für öffentliche Unternehmen, sondern liefern auch allgemeine Informationen zur Effizienz von Politikinhalten und zur langfristigen finanziellen Nachhaltigkeit - sie bilden daher ein umfassendes und effizientes Gesamtpaket. Die Arbeitsweise des Boards könnte ebenso als direktes oder indirektes Vorbild für die zukünftige Arbeitsweise des EPSAS-Boards dienen. Zu guter Letzt ist es wahrscheinlich, dass die jüngsten Überlegungen des IPSAS-Boards zur eigenen strukturellen Ausgestaltung und zu den Standards von Sozialleistungen die drei Stufen des EPSAS-Einführungsprozesses erleichtern werden, wie von der Europäischen Kommission vorgeschlagen.

Was sind die Schlüsselfaktoren für einen Erfolg der EPSAS?

Ein Erfolg oder Misserfolg der EPSAS wird vor allem entscheidend davon abhängen, wie stark die neue Europäische Kommission das Projekt unterstützt. Davon abgesehen ist der Erfolg des Projekts in seiner derzeitigen Ausgestaltung meines Erachtens an folgende Schlüsselfaktoren gebunden:

  • Eine angemessene Personalausstattung, um das von der Kommission ausgewiesene Ziel umzusetzen. Die Entwicklung und Veröffentlichung von Standards ist eine Herausforderung, die eines anderen Umfangs an Personal bedarf, als eine bloße Implementierung extern entwickelter Standards (wie es derzeit mit den IFRS geschieht). Sind die Mitgliedstaaten für eine derartige Investition bereit?
  • Ein starkes Steuerungssystem, das dazu in der Lage ist, der Kritik am IPSAS-Board zu begegnen. Die Unabhängigkeit und Repräsentativität aller am Ausgestaltungsprozess der Rechnungslegungsinformationen Beteiligten wird entscheidend für eine erfolgreiche Steuerung sein.
  • Ein gemeinsamer Einführungsplan für die Mitgliedstaaten. Das Schlimmste wäre, wenn lediglich eine Handvoll oder nur ein begrenzte Zahl Mitgliedstaaten die Standards übernehmen und in der Folge eine Europäische Union der zwei Geschwindigkeiten verursachen würden.