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Verwaltungsmodernisierung: Transformation first – Digitalisierung second!

Im Gastkommentar fordert Dr. Oliver Heidinger einen radikalen Kulturwandel in der Verwaltung 

 

PublicGovernance Frühjahr 2025 | ca. 5 Minuten Lesezeit


  • Trotz Einführung digitaler Technik hat die Verwaltung nicht an Effizienz gewonnen, da bestehende Strukturen nicht hinterfragt wurden.
  • Verwaltungsdigitalisierung kann nur mit einer durch die öffentlichen IT-Dienstleister harmonisierten und standardisierten IT-Landschaft gelingen.
  • Notwendig ist ein Kulturwandel, bei dem die Verwaltungsführung die Verantwortung für die digitale Transformation übernimmt. 
  • Ein „Transformationsministerium“ könnte diesen Veränderungsprozess unterstützen.

In den letzten Jahren haben wir der Verwaltung die digitale Technik zur Verfügung gestellt, um sie schneller, agiler und effizienter zu machen. Trotzdem ist die Verwaltung nicht schneller, agiler und effizienter geworden. Nun mag es Stimmen geben, die sagen, dass man ja noch nicht alle Bereiche digitalisiert habe, es noch genug Schnittstellen und Medienbrüche geben würde. Das stimmt, aber es ist nur die halbe Wahrheit. Denn eins ist auch klar: Wir haben uns nicht mit der extrem hohen Regulationsdichte, redundanten behördlichen Strukturen und den Prozessen der Verwaltung kritisch auseinandergesetzt, bevor wir begonnen haben, diese zu digitalisieren. Denn das Infragestellen rechtlicher Regelungen und Aufgabenkritik werden in der Verwaltung gerne gemieden und sind kein gelerntes und gelebtes Element in der aktuellen Verwaltungskultur.

Es werden viel zu wenig Fragen zum aktuellen Status quo gestellt wie: Brauchen wir Verwaltungsvorschriften in dieser Vielschichtigkeit oder geht Verwaltung auch einfacher? Wie erkenne ich, ob Verwaltungstätigkeiten überhaupt (noch) notwendig sind? Welche staatlichen Regelungen haben keinen substanziellen gesellschaftlichen Mehrwert oder entfalten keine echte Steuerungsrelevanz? Welche Regelungen erschweren und hemmen die wirtschaftliche Entwicklung? Gibt es behördliche Strukturen, die sich mit vergleichbaren Aufgaben beschäftigen und machen diese Mehrfachstrukturen noch Sinn?

Eine Aufgabenkritik, die diese Fragen in den Blick nimmt, ist bisher versäumt worden. Vielleicht auch, weil wir uns nur die Frage nach einer möglichst schnellen Digitalisierung vorhandener Prozesse gestellt haben. Dabei lässt sich ein Ansatzpunkt der längst notwendigen Transformation aus unserer Verfassung ableiten. Entbürokratisierung durch Anwendung des mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit: Rechtfertigt der Mehrwert einer bürokratischen Regelung den damit verbundenen Aufwand?

Wir brauchen in der Verwaltung den Mut, alte Zöpfe abzuschneiden und von der dort vorherrschenden Absicherungsmentalität Abschied zu nehmen. Dabei muss das Gemeinwohl auch wieder über individuelle Interessen gestellt werden. Wir brauchen also einen radikalen Kulturwandel.

Diesen für einen Kurswechsel notwendigen Kulturwandel werden wir nicht alleine durch die Digitalisierung lösen. Wir benötigen aber diesen Kulturwandel dringend für mehr Tempo beim Veränderungsprozess zur zielgerichteten digitalen  Unterstützung von Staat und Verwaltung. Die digitale Transformation von Verwaltungen erfolgt unter fortlaufenden Markt- und Technologieveränderungen, die die Lebensrealitäten der Bürgerinnen und Bürger sowie der Unternehmen längst in großem Maße beeinflussen. Deshalb müssen wir in der Verwaltung einen Perspektivwechsel vornehmen, einen, der die Verwaltung aus Sicht und nach den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger sowie der Unternehmen in unserem Land gestaltet und denkt.

Eine mit dieser Maßgabe durchgeführte Transformation kann allerdings nur dann erfolgreich sein, wenn sie eine zentrale Voraussetzung erfüllt: Die politische Führung und die Verwaltungsführung müssen bereit sein, Verantwortung für die Transformation zu übernehmen. Das ist kein Selbstläufer, da die zur Entbürokratisierung notwendige Abkehr vom Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit zu (politischen) Konflikten führen kann und die Führung vor diesem Hintergrund gehalten ist, den erforderlichen Kulturwandel in den Verwaltungen selbst zu initiieren und vorzuleben.

Nach jahrzehntelanger Erfahrung in verschiedenen Ministerien, in unterschiedlichsten Digitalisierungsvorhaben und auch nach jahrelanger Mitwirkung im IT-Planungsrat und bei den Diskussionen zum Onlinezugangsgesetz sehe ich es deshalb kritisch, dass in einem Bundesdigitalisierungsministerium ressortübergreifende Durchgriffsmöglichkeiten und eine Zentralisierung von Haushaltsmitteln in einem Maße realisiert warden können, um in den Verwaltungen eine schnelle und disruptive Reform Wirklichkeit werden zu lassen. Daneben bin ich der festen Überzeugung, dass ein Technologiefokus, der allein schon in der Begrifflichkeit eines „Bundesdigitalisierungsministeriums“ zum Ausdruck kommt, die vielschichtigen Probleme und Herausforderungen nicht lösen kann, um die Handlungsfähigkeit des Staats und seiner Verwaltungen in den kommenden Jahren zu erhalten.

Für mich ist daher ein Transformationsministerium die bessere Alternative, da die ambitionierte und nicht triviale Transformation von Staat und Verwaltung durch ein solches Ministerium unterstützt und in der Wirksamkeit verbessert werden kann. Die Dezentralisierung von durchgreifenden Veränderungen und Reformen in den verschiedenen Fachministerien wird nicht gelingen.

Ein solches Transformationsministerium könnte einen maximalen Kulturwandel im Verwaltungshandeln des Staats in den Fokus nehmen. Heute ist die Verwaltung so stark ausdifferenziert und reguliert, dass dies zu einem Problem geworden ist. Silos werden dabei nicht mehr abgebaut, der Personalmangel stellt mittlerweile eine große Herausforderung dar. Diese Probleme wird Digitalisierung allein nicht lösen. Auch die künstliche Intelligenz und eine KI-gestützte Transformation der Verwaltung werden nicht das ersehnte Allheilmittel sein. Der erste Schritt muss eine Analyse sein, welche Regeln keinen Mehrwert für diesen Staat bringen und wirtschaftliche Entwicklungen hemmen; Entbürokratisierung und das Finden von Synergie-Effekten müssen fokussiert werden. Erst danach, also nach erfolgreicher Transformation, sollte man über die digitalen Tools nachdenken. 

Aber wo stehen wir aktuell in dem bereits begonnenen Digitalisierungsprozess? Aus Sicht eines sehr großen öffentlichen IT-Dienstleisters fällt bei der Bereitstellung von digitalen Tools Folgendes auf: Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass sich Behörden Individualisierungsleistungen wünschen, auch bei Services im IT-Bereich, die wir auf dem freien Markt zur Optimierung von Verwaltungsdienstleistungen einkaufen. Diese Individualisierungswünsche stehen jedoch meist im Widerspruch zum Wirtschaftlichkeitsgebot unserer Verfassung. Wir müssen als öffentlicher IT-Dienstleister die Gatekeeper-Funktion übernehmen, um die notwendigen Standards hinsichtlich IT-Sicherheit, Datenschutz und somit auch der digitalen Souveränität mit den privaten Anbietern zu verhandeln. Schnell, flach und operativ geprägt. Unsere Verwaltungskunden müssen diese dann akzeptieren oder sich selbst um ein anderes Angebot kümmern, was angesichts der hohen Regulationsdichte in der IT und des fehlenden eigenen ITKnow-hows in den Fachressorts kaum gelingen dürfte. Sollen Best-Practice-Anwendungen in Verwaltungen der unterschiedlichen Gebietskörperschaften schnell skalierend nachgenutzt werden, ist eine wesentliche Voraussetzung, dass öffentliche IT-Dienstleister sich untereinander vertrauen. Bereits geprüfte Datenschutz- und IT-Sicherheitskonzepte müssen wechselseitig akzeptiert, anerkannt und nicht bei jeder Nachnutzung erneut validiert werden.

Wir haben bereits in den vergangenen Jahren schmerzhaft erfahren, dass die Entwicklung von Standards „Top-down“ nicht gelingt. Dies wurde insbesondere in häufig politisch besetzten Gremien immer wieder versucht. Doch solche Gremien sind viel zu wenig innovativ, weil sie letztlich immer beim kleinsten gemeinsamen Nenner landen. Disruption und durchgreifende Strukturveränderungen sind so nicht möglich. 

Eine verändernde Verwaltungsdigitalisierung kann nur gelingen, wenn wir einheitliche Standards haben. Und wer könnte besser solche Standards entwickeln, als diejenigen, die Tag für Tag eine sichere und souveräne Informationstechnologie für Verwaltungen bereitstellen, nämlich die öffentlichen IT-Dienstleister. Aktuell ist die breite Nachnutzung von Services und Best Practices in den sehr heterogenen IT-Landschaften bei Bund, Ländern und Kommunen, also auf den verschiedenen föderalen Ebenen, nicht möglich, weil eben diese einheitlichen Standards fehlen. Wenn wir also eine schnelle Implementierung vorantreiben wollen, dann brauchen wir dringend eine Harmonisierung und Standardisierung von IT-Landschaften durch die öffentlichen IT-Dienstleister, also „Bottom-up“, und nicht jahrelange Versuche, rechtliche Durchgriffsrechte zum Erzwingen solcher harmonisierten Infrastrukturen und ITArchitekturen zu entwickeln. Die Zeit hierfür haben wir nicht mehr! Mit der Akzeptanz einer solchen Strategie zur Verwaltungsdigitalisierung ist ein Bundesdigitalministerium nicht nur nicht erforderlich, sondern sogar hinderlich.

Grundlegend für den notwendigen Kulturwandel ist ein offener Umgang mit dem, wo es knirscht und wo es so knackt. Komplexität darf nicht belohnt werden, sondern das Einfache. Denn das Einfache ist vor dem Hintergrund einer großen Komplexität die große Meisterleistung!


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Dr. Oliver Heidinger

Präsident, Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW)